Episode Transcript
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(00:06):
Hallo, konnichiwa und herzlich willkommen bei Natürlich Deutsch, Deutsch natürlich.
Ich bin Anita und heute nehme ich dich mit auf eine sehr persönliche Reise.
Das freut mich auch, als ich diesen Podcast mir überlegt habe, dachte ich, etwas Persönliches ist auch etwas Schönes,
(00:30):
etwas Positives.
Und zwar, diese persönliche Reise ist in meine Kindheit in Deutschland, zwischen 1968 und 1985.
Du weißt ja, dass ich in Japan geboren bin, aber ich bin ja auch in Deutschland aufgewachsen.
(00:52):
Genau in diese Zeit werden wir nun reisen.
Ich kam im August 1968 im Alter von ziemlich genau zehn Monaten, glaube ich, ja, zehn Monate war das, von Japan nach
Deutschland.
Natürlich konnte ich nicht sprechen, mit zehn Monaten kann man noch nicht wirklich sprechen.
(01:14):
Ich hatte aber bis dahin auch kein Wort Deutsch gehört, nur Japanisch.
Mein Vater war ja Deutscher, aber sprach mit mir nur Japanisch oder Englisch und meine Mutter sprach natürlich erst
einmal nur Japanisch mit mir, das ist auch klar.
Außer meinem Vater gab es kaum jemanden oder besser gesagt niemanden, der sich mit meiner Mutter unterhalten konnte.
(01:38):
Sprachkurse, ne, die gab es damals nicht.
Also nicht so wie heute.
Sie war natürlich auf sich allein gestellt, aber sie war stark und lebenslustig.
Sie hat nie aufgegeben und das fand ich auch immer sehr beeindruckend.
Und auch wenn Dativ, Akkusativ und diese ganzen Präpositionen ihr bis zum Schluss ein Rätsel blieben, das störte sie
(02:03):
überhaupt nicht.
Sie lachte trotzdem auch über sich und über ihre Fehler.
Das ist wirklich witzig gewesen.
Ja, und als ich dann mit knapp vier Jahren in den Kindergarten kam, verstand ich schon alles.
Aber ich habe nie gesprochen.
Weißt du warum nicht?
(02:25):
In der Anfangszeit habe ich meine Mama einfach zu oft weinen gesehen.
Da habe ich natürlich Deutsch und Deutschland mit negativen Gefühlen assoziiert.
Assoziiert bedeutet so verbunden, ja.
Ich erinnerte mich quasi immer an Deutsch und Deutschland.
(02:46):
Und das war mit negativen Gefühlen.
Ich sträubte mich also dagegen, Deutsch zu sprechen und auch zu lernen.
Aber dann kam die Schule.
Ich wurde 1974 eingeschult.
Da wollte ich immer noch kein Deutsch sprechen.
Deshalb war der Anfang auch hart, weil ich innerlich zerrissen war.
(03:08):
Einerseits wurde ich in unserer Straße voll akzeptiert.
Das war richtig, richtig schön.
Sogar von den Jungs.
Wir sind immer zusammen Rad und Rollstuhl gefahren oder haben irgendetwas unternommen.
Das war richtig toll.
Andererseits wurde ich manchmal von anderen Kindern auf dem Spielplatz aber gehänselt mit Chinese, Chinese, du
(03:31):
Ausländer.
Boah, das war nicht so schön.
Das war richtig furchtbar.
Ich habe mich geschämt.
Ich habe auch erlebt, wie andere Kinder aus anderen Ländern diskriminiert wurden, so richtig.
Aber zum Glück nur mit verbalen Angriffen, nur durch Worte.
Die Wut, die wuchs in mir.
(03:52):
Ich war so wütend, dass ich diese Kinder am liebsten verteidigt hätte und zwar mit Gewalt, ja, da ich mich bis dahin
auch nicht mit Worten, mit deutschen Worten wehren konnte.
Also machte ich in meinem Zimmer Kung-Fu-Übungen.
Weißt du, warum gerade Kung-Fu?
Damals gab es die Serie Kung-Fu mit David Carradine.
(04:15):
Die hatte ich immer gesehen.
Mein Vater beobachtete mich.
Er sah, wie ruhig und konzentriert ich bei den Übungen wurde und weniger aggressiv.
Und da nahm er mich mit, aber nicht zum Kung-Fu, sondern zum Karate.
Und das war ein Wendepunkt.
(04:37):
Ich fühlte mich zum ersten Mal gelassener, aber innerlich stärker und sicherer und vor allem akzeptiert, im
Karateverein vor allem.
Da war ich das einzige Kind, das einzige Mädchen, aber die Jungs um mich herum, die waren fast schon erwachsen.
Für mich waren sie riesengroß und riesenerwachsen, aber das waren auch, ja, Jugendliche und natürlich auch erwachsene
(05:03):
Jungs.
Die waren total nett zu mir und das hat mich so ruhig werden lassen.
Ich ließ mich deshalb niemals mehr provozieren, aber wie Michael Ende so schön schrieb, das ist eine andere Geschichte
und soll ein andermal erzählt werden.
(05:23):
Nun zurück zu meiner Kindheit.
Ich war bis zur dritten Klasse, also etwa mit, naja, acht, neun Jahren, ein stilles und eher zurückhaltendes Kind.
Ja, und ich war auch klein, kleiner als andere Kinder.
Meine asiatische Herkunft ließ sich nicht verleugnen.
(05:43):
Ich fühlte mich auch nur zu Hause wohl.
Da war meine sichere Welt und meine Schwester wurde geboren, als ich so viereinhalb, ja, fünf war.
Ich war also nicht mehr allein und zu Hause war die Welt in Ordnung.
Meine Mutter sang immer beim Kochen oder beim Hausputz japanische Schlager und Kinderlieder, die kann ich also immer
(06:09):
noch nicht nur singen, sondern die Texte kann ich auch heute immer noch.
Und was habe ich noch so gemacht, außer mich um meine kleine Schwester zu kümmern?
Ich liebte es Matsch zu spielen oder im Garten Tiere oder im Wald auch Tiere zu beobachten und mich um meine Haustiere
(06:30):
zu kümmern.
Das war richtig schön.
Was mir noch gefiel, ja, ich hörte gerne Geschichten.
Besonders gefiel mir die biblische Geschichte, die Jesus als Gleichnis erzählt hatte.
Die gab es auch als Kindergeschichte, die mit dem Samariter, der einem wildfremden Mann, einfach geholfen hatte.
(06:51):
Ohne Wenn und Aber, also ohne Vorurteile.
Und was ich damals wie natürlich heute auch toll fand, war, dass der Samariter kein Geld oder irgendetwas zurückhaben
wollte.
Weißt du, wie man das nennt?
Das ist Nächstenliebe, ohne Vorurteile.
Das hat mich damals schon sehr beeindruckt.
(07:14):
In diesen Momenten war ich glücklich.
Ich konnte vergessen, dass ich draußen nicht immer verstanden wurde.
Sprache war kein Werkzeug, sondern eine Wand und ich habe mich hinter meiner eigenen Wand versteckt.
Doch langsam bröckelte sie.
Ja, vielleicht fragst du dich, was mir besonders half?
(07:37):
Schallplatten mit deutschen Märchen oder Kinderlieder.
Eigentlich ganz einfach.
Ich habe nicht alles oder manchmal natürlich auch gar nichts verstanden, aber ich habe es geliebt.
Und später las ich natürlich selbst.
Lesen gelernt habe ich ziemlich mühelos, ohne Probleme und sehr schnell.
Aber manchmal auch ohne zu verstehen, was ich da lese.
(08:01):
Ich schrieb im Unterricht alle Wörter in ein Heft, die habe ich immer noch übrigens.
Und irgendwann ganz leise fing ich an zu sprechen.
Nur wenige Sätze und dann immer mehr.
Zuerst zu Hause, vor meiner Mutter, die hat immer gelacht und natürlich dann mit anderen.
(08:23):
Mein allererster deutscher Satz, den ich überhaupt laut gesagt habe war.
Der Mond ist hell, aber und das ist jetzt wirklich süß.
Ich habe Mond mit einem ganz offenen japanischen O gesprochen.
Also Mond und das R so gerollt wie ein Japaner.
(08:45):
Das hört sich ungefähr so an.
Der Mond ist hell, so ungefähr.
Meine deutsche Patentante fand das unglaublich süß.
Sie hat mit mir geübt und das wichtigste dabei ist, sie hat mich ermutigt weiter zu sprechen.
(09:10):
Sie war es auch, die mir die Geschichte vom barmherzigen Samariter vorgelesen hat.
Aus einem Buch mit großen bunten Illustrationen.
Und weißt du, das werde ich nie vergessen.
Ich bin sehr dankbar dafür und ich habe zwar damals nicht jedes Wort verstanden, aber die Bilder haben die Geschichte
für mich lebendig gemacht.
(09:31):
Und vor allem ihre warme Stimme hat mich tief berührt.
Ich bin ihr immer noch bis heute dankbar dafür, auch wenn sie jetzt nicht mehr lebt.
Und nun weiter in meine Kindheit.
Ich war in die sechste Klasse gekommen.
(09:53):
Die Begebenheit war im Dezember 1978.
Da passierte etwas Entscheidendes.
Wir waren im Sommer des selben Jahres, also im Sommer 1978, in meiner Heimat Japan.
Ungefähr, ja ziemlich fast so siebeneinhalb oder acht Wochen lang gewesen.
(10:18):
Wir hatten natürlich meine Familie besucht, aber auch einige Städte dort besichtigt.
Über diese Reise, und zwar meine erste Reise nach Japan nach meiner Geburt, hatte ich ein kleines Tagebuch mit Fotos
geführt, also geschrieben, das ich immer noch habe und noch heute für mich wie ein kleiner Schatz ist.
(10:41):
Also weißt du, das ist ein Schatz, weil es nicht nur die Worte oder Fotos sind, sondern wirklich die Erinnerungen, die
mit Emotionen verbunden sind.
Dieses Tagebuch durfte ich kurz vor den Winterferien von meiner ganzen Klasse vorlesen.
Ja, jetzt fragst du dich wahrscheinlich, wie war es denn?
(11:05):
Ich habe ganz leise meine Lehrerin gefragt, ob das okay wäre, es vorlese, weil lesen konnte ich sehr, sehr gut und das
nahm die Lehrerin sehr gerne an.
Sie fand es sogar als eine super Idee.
Ja, wie war die Situation?
(11:26):
Alle waren natürlich sehr gespannt und es war mucksmäuschenstill, ganz still und ich habe vorgelesen.
Ich schaute in die Gesichter, die waren voller Spannung und sahen mich ganz, ganz interessiert an und da wusste ich,
(11:48):
ja, wie soll ich das beschreiben?
Ich kann es kaum beschreiben.
Niemand hat gestört, wie es sonst in der Klasse war.
Niemand hat irgendetwas anderes gemacht, als mir zuzuhören und das war natürlich toll.
Am Ende, was kam da raus?
Die Klasse applaudierte, die ganze Klasse und zwar laut, ganz lange und sie haben alle gesagt, bravo, super, schreibt
(12:18):
das nächste Mal noch ein Tagebuch bitte.
Also Wahnsinn, das war so toll.
Ja und das war der Moment, in dem ich wusste, jetzt bin ich angekommen.
Ich hatte endlich das Gefühl, dazu zu gehören, verstanden zu werden und auch gehört zu werden und ich habe gespürt,
(12:42):
Sprache kann verbinden.
Es ist nicht nur ein Werkzeug.
Jetzt war ich angekommen.
Sprache kann auch wie ein Zuhause sein.
Ja, wie ist das heute?
Heute spreche ich einige Sprachen mehr, aber Deutsch ist nun mit den Jahren auch meine Muttersprache geworden.
(13:05):
Sie kam durch das Leben, nicht durch Bücher oder Grammatik.
Ich denke heute sogar auf Deutsch.
Du weißt ja, Deutsch war ja die Sprache meines Vaters.
Ich sage immer, das ist die Vatersprache, aber natürlich existiert dieses Wort nicht.
Also es gibt dieses Wort Vatersprache nicht.
(13:27):
Ja, also bitte nicht sagen.
Das habe ich jetzt nur gesagt.
Ja und was kann ich noch sagen?
Sprachenlernen besteht nicht nur aus Grammatik, sondern aus Vertrauen, ein bisschen Neugier und du darfst dir auch
erlauben, Fehler zu machen.
(13:49):
Aber sie besteht auch aus Menschlichkeit und zwar eine große, aus einer großen Portion Menschlichkeit und manchmal auch
natürlich ein bisschen Mut, sich zum ersten Mal zu zeigen, indem du einfach sprichst und natürlich auch ein bisschen
selbstbewusst und je mehr du sprichst, desto selbstbewusster wirst du und vielleicht fragst du dich jetzt, was kannst
(14:17):
du aus meiner Kindheitsgeschichte für dein Sprachenlernen mitnehmen?
Hier sind meine drei wichtigsten Tipps.
Tipp 1, höre zu, auch wenn du noch nicht alles verstehst.
Das ist überhaupt nicht schlimm.
Dein Gehirn speichert viel mehr, als du denkst.
(14:39):
Ein Gehirn ist total leistungsfähig, auch wenn du denkst, boah, heute habe ich alles vergessen, obwohl ich gestern noch
alles konnte.
Das ist nicht schlimm.
Gönn dir dann eine Pause und dann wird dein Gehirn sich erholen.
Tipp 2, habe keine Angst, Fehler zu machen.
(15:01):
Manchmal sind sie sogar charmant, so wie beim, ja, beim ersten Mal.
Mein erstes Wort Mond oder mein erster Satz, der Mond ist helle, so habe ich gesagt.
Ich weiß es schon gar nicht mehr.
Sprich einfach, ja, dann wirst du auch selbstbewusster.
(15:22):
Tipp 3, suche Menschen, die dich ermutigen, egal auf welchem Niveau du bist.
Die richtigen Menschen können Türen öffnen, auch die Tür zu deinem Herzen und die Grammatik allein öffnet diese nicht.
Wenn du diese drei Dinge beherzigst, wirst du merken, wie deine neue Sprache nach und nach ein Teil auch von dir wird,
(15:49):
so wie Deutsch für mich.
Mein Fazit, lerne wie ein Kind, ohne Vorurteile, mit viel Neugier und Mut und bewerte dich nicht, vor allem verurteile
dich nicht.
Übrigens, mir fällt da gerade etwas ein, jemand hat einmal vor circa 2000 Jahren gesagt, werdet wie die Kinder.
(16:19):
Und das war meine Episode über die ersten Jahre meiner Kindheit in Deutschland.
Danke, dass du zugehört hast.
Ich hoffe, es hat dir gefallen.
Wenn du möchtest, kannst du dich gerne bei mir kostenlos anmelden.
Alle meine Podcast-Episoden sind kostenlos.
Bei Fragen oder Kommentaren kannst du mir auch persönlich eine Nachricht schreiben.
(16:42):
Alle Links sind in den Show Notes.
Und wenn du möchtest, coming soon meine Webseite mit einer Lernplattform.
Die ist interaktiv, mit Hilfe der Podcast und meiner persönlichen Begleitung.
Vielen Dank und ich freue mich aufs nächste Mal, wenn du wieder zuhörst.
(17:04):
Dann sage ich für heute Tschüss, Matane und pass auf dich auf, deine Anita.