Episode Transcript
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(00:00):
Herzlich Willkommen zu unserer heutigen Analyse.
Wir nehmen sie heute mal mit ja auf eine kleine Zeitreise in die
deutsche Industriegeschichte, genauer gesagt geht es nach
Zweibrücken zur Lunts Vary Mähmaschinenfabrik und wir
schauen uns an, wie dieses Unternehmen durch eine, Na ja,
wirklich turbulente Phase gesteuert ist.
(00:22):
Den ersten Weltkrieg und die doch ziemlich chaotischen Jahre
direkt danach. Was haben wir dafür?
Also wir haben hier einen Stapeloriginal Geschäftsberichte
vorliegen, das fängt an im Kriegsjahr 1915 16 und geht bis
1921 22, also kurz bevor die Hyperinflation so richtig
losging. Genau das sind die offiziellen
(00:45):
Mitteilungen an die Aktionäre vom Vorstand, vom Aufsichtsrat.
Also wirklich ein Blick direkt, ja sozusagen in den
Maschinenraum der Firma, in dieser wilden Zeit.
Und unser Ziel ist es ja, mit ihnen gemeinsam zu verstehen,
wie hat dieser Spezialist für Erntemaschinen, also denken sie
an Mehrdrescher, Vorläufer und so was, wie hat der diese
(01:07):
Krisenjahre gemeistert, was waren die größten Hürden, welche
Strategien hat man verfolgt, ja,und was verraten uns diese doch
eher trockenen Berichte über diedamalige Wirtschaft, die
Gesellschaft. Packen wir es mal an.
Absolut. Und diese Berichte sind wirklich
ne Goldgrube, nicht nur für die Firmengeschichte selbst.
(01:28):
Die spiegeln ja der gesamten wirtschaftlichen auch die
politischen Verwerfungen wider, also Kriegswirtschaft, dann die
Folgen der Niederlage, Besatzungszeit,
rohstoffknappheit, soziale Unruhen, die beginnende
Inflation. Alles dabei.
Alles drin? Genau.
Und das Faszinierende ist ja, wir kriegen die unmittelbare
Perspektive der Unternehmensleitung auf diese
(01:50):
Ereignisse, also keine spätere Beschönigung oder so, sondern
wirklich die Einschätzung aus dem Moment heraus.
Fangen wir doch direkt mal im Krieg an mit dem Bericht für
1915 16. Der wurde im Dezember 1916
veröffentlicht. Was da sofort auffällt, eine ja
schier unstillbare Nachfrage nach Erntemaschinen, Mhm.
Der Grund ist ja klar. Ausländische Maschinen, die
(02:12):
kamen nicht mehr ins Land und die deutsche Produktion war
insgesamt stark eingeschränkt. Die Landwirtschaft hat förmlich
nach Technik geschrien, um die Ernte überhaupt reinholen zu
können, die Schreiben das auch so, die rechtzeitige Bergung der
Ernte war unseren Landwirten nurunter umfangreichster
Zuhilfenahme von Erntemaschinen möglich.
Ja, und das hieß für Lanzveri volle Auslastung.
(02:33):
Die Fabrik lief auf Hochtouren, das sieht man auch an so einem
Detail im Bericht. Da werden erhöhte Abschreibungen
auf die Anlagen erwähnt wegen Zitat besonders starker
Inanspruchnahme. Ah ja, die Maschinen wurden also
wirklich bis an die Grenze belastet, aber trotzdem die
Nachfrage konnten sie bei weitemnicht decken, das zeigt Halt wie
(02:55):
ja wie essentiell diese Branche auf einmal war für die
Kriegsanstrengungen, aber auch für die Ernährungssicherung.
Gleichzeitig positioniert sich das Unternehmen da auch
strategisch. Also es wird betont, wie wichtig
eine starke heimische Erntemaschinenindustrie für
Deutschland sei. Das ist ne klare Botschaft auch
für die Zeit nach dem Krieg, oder?
Genau. Finanziell war der Vorschlag für
(03:17):
dieses Jahr noch ne recht solideDividende 8%.
Und auch das soziale wird erwähnt.
Man hat wohl weiterhin die Familien der eingezogenen
Mitarbeiter unterstützt und der Gefallenen gedacht, die Zitat
auf dem Felde der Ehre gebliebenwaren.
Ja, eine Formulierung, die uns heute vielleicht komisch
vorkommt, aber damals war das halt so.
(03:38):
Aber genau in diesem Bericht, dawird auch ein ganz
entscheidendes strategisches Manöver vermeldet, sie nennen es
ein Ereignis von besonderer Bedeutung für die Zukunft.
OK, was war das? Die Aktienmehrheit ging an die
Firma Heinrich Lanz aus Mannheim.
Über eine bekannte Größe. Ah Lanz, Mannheim, klar.
(03:59):
Genau, und das war mehr als nur ein Eigentümerwechsel.
Lanz, Mannheim war ja ein Gigantin der Landtechnik, dieser
Einstieg, der bedeutete Zugang zu Kapital, zu Know How, zu
Vertriebsstrukturen, das war ne Konsolidierung, die dem
Zweibrücker Werk ne völlig neue Perspektive gegeben hat.
Das wurde dann auch sofort sichtbar oder durch die
(04:20):
Umfirmierung aus der Maschinenfabrik Werk AG wurde
die Lanz Very Mehrmaschinenfabrik AG Mhm.
Man wollte die Verbindung nach außen zeigen, zum potenten
Partner in Mannheim. Und es wurde sofort investiert
in die Zukunft. Man hat mit dem Bau einer
komplett neuen großen Fabrikanlage in Ernstweiler bei
Zweibrücken begonnen, ziemlich ambitioniertes Ziel, oder?
(04:42):
Ja, das Ziel war klar. Nach dem Krieg wollte man die
deutsche Landwirtschaft unabhängig machen von
ausländischen Erntemaschinen. Also ein klares Bekenntnis zum
Standort und zur Technologie mitten im Krieg.
Wahnsinn. Und das spiegelt sich dann auch
im Aufsichtsrat wider. Alte Mitglieder raus dafür zogen
Vertreter von Landsmannheim ein,sogar Dr. Karl Lanz persönlich.
(05:06):
Da wurde also klar die Kontrolleübernommen und die Weichen
gestellt für ne engere Integration.
Man hat quasi auf ne starke Nachkriegsnachfrage gewettet und
sich dafür schon positioniert. Gehen wir mal ein Jahr weiter.
Geschäftsjahr 1916 17 der Bericht kam im Dezember 1917
raus, der Krieg tobt immer noch,die Firma meldet wieder ne
(05:28):
außerordentlich starke Beschäftigung, aber man merkt
schon es knirscht so langsam. Ja man konnte die Kunden nur
noch mit Schwierigkeiten zufriedenstellen, als Grund
nennen sie pauschal kriegsschwierigkeiten.
Ja, das konnte alles Mögliche sein.
Ne Materialmangel, fehlende Kohle, vielleicht auch schon
Personalengpässe durch weitere Einberufungen, man weiß es nicht
(05:50):
genau. Und dieses Großprojekt, der
Neubau in Ernstweiler. Der Gerät ins Stocken,
kriegsbedingt verzögert er sich und man rechnet schon mit
wesentlich erhöhter Kostenaufwand.
Das ist schon interessant, obwohl die Zukunft total
ungewiss ist, halten die an diesem Riesenprojekt fest.
Das zeigt doch eine bemerkenswerte strategische
Hartnäckigkeit, finde. Sich.
(06:11):
Wie wirkt sich das denn finanziell aus?
Also die Dividende wird auf 5% gesenkt.
Das ist schon klares Signal. Stattdessen steckt man Geld in
dieses Zukunftsversprechen. Satte 120000 Mark fließen in
eine spezielle Neubaureserve aha, man spart also aktiv für
die neue Fabrik, auch wenn die Aktionäre dafür weniger
(06:32):
bekommen. Der Ausblick, der bleibt
verhalten. Aufträge sind zwar da, aber ob
man liefern kann, das hängt haltkomplett an Rohstoffen und
Arbeitskräften. Eine Zitterpartie, ja typisch
für diese Phase des Krieges. OK, springen wir ins
Geschäftsjahr 1917 18 der Bericht dazu kam ja erst im
Februar 1919 raus, also nach demWaffenstillstand das letzte
(06:56):
volle Kriegsjahr und die unmittelbare Nachkriegszeit sind
da drin und die Probleme haben sich offenbar noch mal
verschärft. Ja, das liest man raus.
Rohmaterial und Arbeitskräfte zubekommen, das war extrem
schwierig. Die Nachfrage war zwar
ungebrochen hoch, aber man konnte sie eben nicht restlos
decken. Und der Neubau?
Weiter behindert jetzt auch durch behördliche Verordnungen.
(07:19):
Wahrscheinlich wurden Ressourcen, Arbeitskräfte
einfach für kriegswichtigere Zwecke abgezogen.
Logisch, finanziell bleibt's beiden 5% Dividende, aber man legt
noch mal 140000 Mark auf die hohe Kante für den Neubau.
Und was hier bemerkenswert ist, da wird eine Rückstellung
erwähnt für eine 80 prozentige Kriegsgewinnsteuer. 80% wow. 80%
(07:41):
das muss man sich mal vorstellen, auf Gewinne, die man
vermutlich durch die Kriegsumstände gemacht hat.
Das zeigt die immense finanzielle Last, die der Staat
da der Wirtschaft aufgebürdet hat.
Und wie sah der Ausblick so Ende1918 Anfang 1919 aus?
Der ist jetzt komplett von der neuen politischen Lage
überschattet. Man spricht von Unsicherheit,
(08:03):
was die Entwicklung im besetztenGebiet angeht.
Ja klar, Zweibrücken lag ja dannin der französischen
Besatzungszone. Genau, und das brachte natürlich
enorme Unsicherheiten für die Produktion, für den Handel, die
Nachfrage an sich sei aber weiter lebhaft, schreiben sie.
Das zeigt, wie direkt die große Politik hier ins Tagesgeschäft
(08:23):
reingegrätscht ist. Man wusste halt einfach nicht,
wie es weitergeht. Und dann das Geschäftsjahr 1918
19 der Bericht vom Februar 1920 jetzt wird es, wie sie sagten,
richtig turbulent. Kriegsende, Revolution,
Besatzung, das volle Programm der Bericht spricht von einem
Jahr, das Überreich an Fabrikations und
(08:43):
Absatzschwierigkeiten war, das ist ja fast schon untertrieben,
oder? Absolut.
Das klingt so lakonisch für das Chaos, das da geherrscht haben
muss. Die französische Besatzung und
die sogenannte Reinsperre. Die werden als Hauptprobleme
genannt. Was war diese Rheinsperre genau?
Na ja, man muss sich das vorstellen wie eine Art
Kontrolle und Blockade wichtigerRheinübergänge durch die
(09:03):
Alliierten. Das hat die Pfalz, wo
Zweibrücken ja riegt teilweise vom wichtigen rechtsrheinischen
Absatzmarkt abgeschnitten und auch von Rohstofflieferungen OK,
im Bericht steht, nur mit größter Mühe und hohen
Zusatzkosten konnte der Betrieb überhaupt aufrechterhalten
werden. Das war sicher ein täglicher
Kampf. Und als wäre das nicht schon
genug, kam noch ein interner Konflikt dazu.
(09:26):
Ein vierwöchiger Streik der Metallarbeiter ausgerechnet kurz
vor der wichtigen Erntesaison. Ja, und laut Bericht geschah
das, obwohl die Firma Weitestgehendes Entgegenkommen
gezeigt hätte. Die Folge ein bedeutender
Betriebsverlust. Da sieht man halt auch die
sozialen Spannungen der Nachkriegszeit aufbrechen.
Und der Neubau stand wahrscheinlich immer noch still.
(09:48):
Ja, die geopolitische Unsicherheit schlägt da voll
durch. Die Arbeiten bleiben gestoppt.
Gründe, die unklare politische Zukunft der Regionen und die
noch nicht festgelegte Grenze zum neuen Saargebiet.
Das Werk lag ja nun direkt an dieser neuen potentiellen
Zollgrenze, blieb aber auf Pfälzischem, also deutschem
Gebiet. Was für eine Lage.
Eine Zwickmühle. Man befürchtete massive
(10:10):
Nachteile durch eine Saar zollgrenze, hoffte aber
gleichzeitig, dass der Verkehr ins rechtsrheinische Deutschland
bald wieder ungehindert fließen würde.
Und finanziell immer noch nur 5%Dividende ja.
Wieder 5%, aber interessant. Man steckt trotz allem weiter
Geld in die Reserven 70000 Mark in die allgemeine Reserve und
(10:31):
noch mal 200000 Mark in die neubaureserve Wahnsinn, dieses
Festhalten an dem Projekt ist wirklich bemerkenswert.
Fast schon stur, könnte man sagen.
Der Ausblick ist entsprechend düster.
Aufträge wären zwar da, aber Rohstoffe und Betriebsstoffe,
also Kohle und so zu beschaffen,sei fast unüberwindlich.
Die Preise dafür. Explodieren.
(10:52):
Man spricht von ungeahnter Höhe.Die Zukunft sieht man nicht ohne
Sorge, völlig verständlich. Das nächste Jahr 1919 20 scheint
dann unter ganz anderen Vorzeichen zu stehen.
Der Bericht vom Februar 1921 beschreibt es als ein ja der
Extreme, die erste Hälfte, eine stürmische Aufwärtsbewegung,
(11:15):
riesige Nachfrage aus in und Ausland, kaum zu bedienen.
Rohstoffe blieben zwar knapp undteuer, fantastische Höhe steht
da, aber die Auftragsbücher waren voll ihr.
Taucht aber ein neues Problem auf.
Das ist ganz typisch für die beginnende Inflation.
Die Lieferanten arbeiten nur noch mit Preisklauseln wie
Freibleibend und unverbindlich. Oje.
(11:36):
Ja, das heißt, sie konnten die Preise jederzeit erhöhen.
Das hat natürlich jede vernünftige Kalkulation für Lanz
Veri unmöglich gemacht, man wusste halt nie, was die Teile
am Ende wirklich kosten würden. Und die Geldentwertung sorgt ja
gleichzeitig für nominell explodierende Umsätze, aber eben
auch für explodierende Löhne undKosten.
Wie hat das Unternehmen darauf reagiert?
Mit einer Kapitalerhöhung. Anfang 1921 haben sie 700000
(12:00):
Mark neue Aktien ausgegeben und zusätzlich noch ne Anleihe über
3000000 Mark platziert. OK, man brauchte also dringend
frisches Geld um die steigenden Kosten und das wachsende
Umlaufvermögen zu finanzieren, das war ne direkte Reaktion auf
die Inflation. Doch dann, mitten im
Geschäftsjahr, die Kehrtwende. Der Bericht spricht von einer
fast vollkommenen Absatzstockung, also ein
(12:21):
plötzlicher Einbruch der Nachfrage.
Ja, plötzlich. Selbst Preissenkungen halfen
wohl nicht. Kunden haben bestellte Maschinen
nicht mehr abgenommen. Was war da los?
Tja, das war wahrscheinlich das Ende dieses ersten
Nachkriegsbooms, kombiniert mit der allgemeinen wirtschaftlichen
Unsicherheit. Vielleicht waren viele Käufer
auch spekulativ getrieben und die Blase ist dann geplatzt.
(12:42):
Lanz Veri musste laut Bericht Nachsicht üben.
Stornierungen hinnehmen und hat teilweise auf Lager produziert,
um die Leute nicht entlassen zu müssen.
Keine einfache Situation. Gab es denn Anzeichen für eine
Besserung? Langsam, ja.
Im Herbst schien sich die Nachfrage zu erholen, wirkte
aber gesünder. Also mehr auf echten Bedarf
ausgerichtet, nicht mehr so spekulativ, aber gleichzeitig
(13:05):
wurde der Wettbewerb härter. Ah ja.
Die amerikanische Konkurrenz warwieder voll da und neue Anbieter
drängten auf den Markt. Der Bericht beklagt, dass manche
Wettbewerber mit Verlustpreisen gearbeitet hätten, nur um
Aufträge zu kriegen. Der Kampf um Marktanteile wurde
also härter. Und die Finanzen in diesem doch
sehr turbulenten Jahr wieder 5% Dividende, aber diesmal sehr
(13:28):
hohe Zuweisungen zu den Spezial und Neubaureserven jeweils
240000 Mark. Genau.
Das zeigt ja. Trotz der Krise hielt man an der
Strategie fest, Puffer aufzubauen und in die Zukunft,
also in den Neubau, zu investieren.
Ja, diese Konstanz bei der Neubaureserve ist wirklich das
auffälligste finanzielle Merkmaldieser ganzen Jahre.
(13:50):
Die waren offenbar fest entschlossen, dieses Projekt
durchzuziehen, komme, was wolle.Gehen wir weiter zum
Geschäftsjahr 1920 21 der Bericht kam im Februar 1922 die
Inflation zieht jetzt richtig an.
Das Geschäft scheint sich aber wiederbelebt zu haben.
Ja, der Bericht spricht von einer starken Belebung, hoher
(14:11):
Nachfrage. Lager und Produktion seien
restlos verkauft worden, der Umsatz wird als gewaltig
beschrieben. Besonders gefragt Waren wohl
Garbenbinder. Was ist das genau?
Das sind Maschinen, die Getreidemähen und es gleichzeitig zu
Garben binden. Das war ein wichtiger Schritt
zur Mechanisierung der Ernte damals.
(14:31):
Am Ende des Jahres waren die Rohstoffbestände aber schon
wieder bedenklich niedrig. Aber die Inflation der
Marktsturz, wie es im Bericht heißt, sorgt für neue Probleme,
nehme ich an. Oh ja, massive Probleme
Lieferanten gerade im Sagegebiet, wo oft mit Francs
gerechnet wurde, die hielten ihre Festpreisverträge in Mark
einfach nicht mehr ein. Ach du je.
(14:52):
Die forderten hohe Nachzahlungen.
Das warf natürlich wieder alle Kalkulationen über den Haufen.
Gleichzeitig war die Versorgung mit Roheisen und Kohle aus
Deutschland ungenügend. Man musste teuer im Ausland
zukaufen und dafür Devisen beschaffen, was bei fallender
Mark extrem kostspielig war. Das hat sicher auch den Neubau
betroffen. Enorm.
(15:12):
Die Baukosten explodierten förmlich und der Kapitalbedarf
des gesamten Unternehmens stieg durch die allgemeine Teuerung
rasant an. Die logische Konsequenz, die der
Vorstand dann vorschlug. Eine weitere, noch größere
Kapitalerhöhung, um 3000000 Markneuer Aktien.
Wahnsinn. Man brauchte also immer mehr
nominales Kapital, nur um den Betrieb irgendwie
(15:33):
aufrechtzuerhalten. Genau das.
In diesem Bericht wird auch ein personeller Einschnitt
vermeldet. Ja, eine traurige Nachricht.
Der Tod von Kommerzienrat Karl Lanz im August 1921.
Er war ja seit der Übernahme durch Lanz Mannheim 1916 im
Aufsichtsrat. Kommerzienrat, das war so n
Ehrentitel, oder? Richtig, ein Ehrentitel für
(15:54):
verdiente Persönlichkeiten aus Handel und Industrie damals.
Der Bericht würdigt ihn als vortrefflichen, feinsinnigen
Mann, der dem Unternehmen seine reichen Erfahrungen mit voller
Hingabe gewidmet hat. Als Nachfolger wurde Max
Heinrich von Seubert vorgeschlagen, ebenfalls aus dem
Landsumfeld in Mannheim. Und die finanzielle Seite dieses
Jahres? Dividende.
(16:14):
Wieder. Prozent, aber die Zuweisung zur
Neubaureserve, die sprengt jetztalle bisherigen Rahmen 800000
Mark. 800000 ja. Dazu kommt erstmals ein
Dispositionsfonds für den Vorstand über 100000 Mark, also
quasi ein Budget zur freien Verfügung.
Und der Gewinnvortrag, also der nicht ausgeschüttete Restgewinn,
(16:35):
der steigt auch deutlich an. Das Unternehmen scheint also
trotz aller Widrigkeiten nominell hohe Gewinne zu machen,
steckt die aber sofort wieder inReserven oder braucht sie als
Betriebsmitte. Kommen wir zum letzten Bericht
in unserer Reihe 1921 22, veröffentlicht im Februar 1923
die Hyperinflation ist jetzt nicht mehr nur ein Schatten am
(16:57):
Horizont, sie beginnt sich voll zu entfalten.
Wie lief denn da das Geschäft? Anfangs gab es wohl weiter Ärger
mit Lieferanten, die Verträge brachen, aber die Nachfrage war
insgesamt immer noch lebhaft. Die Leute kauften offenbar,
solange das Geld noch irgendwas wert war, trotz ständig
steigender Preise. Und der Neubau, dieses ewige
Projekt, ist der endlich fertig.Fast.
(17:20):
Laut Bericht sind die neuen Fabrikanlagen in Ernstweiler nun
in der Hauptsache fertiggestelltund werden teilweise schon
genutzt. Aber das gesamte Programm ist
immer noch nicht abgeschlossen. Es stünden noch große Aufgaben
an. Nach all den Jahren.
Unglaublich. Es gibt auch einen wichtigen
Wechsel im Vorstand Ludwig Wersi, der von Anfang an dabei
(17:41):
war, scheidet aus Gesundheitsgründen aus, neuer
technischer Direktor wird WalterFreiherr von Gienand, der dann
neben dem kaufmännischen Vorstand Josef Muth agiert.
Jetzt bin ich aber auf die Zahlen gespannt bei beginnender
Hyperinflation. Explodieren die nominalen Werte
genau, halten sie sich fest. Es wird eine Dividende von 30%
(18:02):
vorgeschlagen. 30% nach all den Jahren mit 5 ja.
Aber was bedeutete das noch? Gleichzeitig werden wieder
riesige Summen in die Reserven gesteckt, 1,5 Millionen Mark für
den Neubau, 1,2 Millionen in dieSpezialreserve.
Der Dispositionsform für den Vorstand wird auf 600000 Mark
(18:22):
erhöht. Wahnsinnige Zahlen.
Der ausgewiesene Bilanzgewinn beträgt über 6,6 Millionen Mark,
aber diese Zahlen sind ohne den Kontext der galoppierenden
Inflation völlig irreführend. Sie zeigen vor allem den
Wertverlust des Geldes. Wie hat man denn Anfang 1923 in
die Zukunft geblickt? Sehr, sehr unsicher.
(18:44):
Man bemerkt erste Anzeichen einer nachlassenden Kaufkraft im
Inland. Die Leute konnten sich die
teuren Maschinen schlicht nicht mehr leisten.
Der Absatz wird zwar noch als gut bezeichnet, aber die
Zukunftsprognose ist extrem vorsichtig, wie sich die
Verhältnisse unter den gegenwärtigen Zuständen
entwickeln würden, sei nicht vorauszusehen.
Und diese gegenwärtigen Zustände?
(19:05):
Ja, damit war die explosive politische und wirtschaftliche
Lage Anfang 1923 gemeint. Kurz nach der Besetzung des
Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen.
Deutschland stand da wirklich amRande des Abgrunds.
Wenn wir diese ja Zeitreise durch die Geschäftsberichte
jetzt mal Revue passieren lassen, was bleibt da hängen?
(19:28):
Also für mich ist es dieses Bildeines Unternehmens im
permanenten Krisenmodus, Krieg, Besatzung, Streiks, politische
Wirren, Materialnot, Inflation, die immer schneller wird, ein.
Eine Krise jagte wirklich die nächste.
Das ist sicher der eine ganz starke Eindruck.
Die enorme Abhängigkeit von äußeren Faktoren, Politik,
(19:50):
Weltwirtschaft, Währungsstabilität, all das
schlug unmittelbar auf den Betrieb durch.
Man sieht, wie verletzlich so ein Industrieunternehmen in
solchen Zeiten ist. Aber, und das ist eben die
andere Seite, man sieht auch eine bemerkenswerte
Widerstandsfähigkeit und einen ja doch klaren strategischen
Kompass. Sie meinen vor allem die
(20:11):
Übernahme durch Lanz, Mannheim und dieses Festhalten am Neubau.
Genau die Übernahme, die sicherte ja Ressourcen und Know
How und der Neubau dieses Mammutprojekt, das sich überall
die Krisenjahre hinzog und Unsummen verschlang, daran
festzuhalten, das war schon einegewaltige Wette auf die Zukunft.
(20:32):
Eine Zukunft, die 1923 ja noch völlig ungewiss war.
Total ungewiss. Es zeigt aber den Glauben an die
eigene Technologie und den Marktund diese Berichte, die
illustrieren halt sehr plastischdie täglichen Kämpfe.
Material beschaffen mit explodierenden Preisen und
unsicheren Verträgen umgehen, den Wettbewerb abwehren,
(20:52):
irgendwie Kapital beschaffen, die Entscheidungen, die da
fielen, die haben das Unternehmen geprägt und ihm
wahrscheinlich auch das Überleben gesichelt.
Und ein letzter Gedanke vielleicht noch, den sie
mitnehmen können, diese Geschäftsberichte, die wirken ja
auf den ersten Blick total trocken und formal, aber
zwischen den Zeilen erzählen sieeine unglaublich menschliche
Geschichte. Mhm Tag, mit diesen
(21:14):
Unsicherheiten leben und arbeiten mussten.
Wie plant man eine Produktion, wenn man nicht weiß, ob morgen
überhaupt Kohle kommt? Wie motiviert man Mitarbeiter,
wenn draußen das Chaos tobt und das Geld stündlich an Wert
verliert? Was macht dieser permanente
Ausnahmezustand mit den Menschenund ihren Entscheidungen so ganz
jenseits von Bilanzen und Gewinnund Verlustrechnungen?
(21:36):
Das ist vielleicht die spannendste Frage, die diese
Quellen am Ende offen lassen.