Episode Transcript
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Audioarchiv Team (00:08):
Willkommen bei Audioarchiv,
dem Kanal für historische Interviews mit Schriftstellerinnen, Philosophinnen, Aktivistinnen
und Intellektuellen aus aller Welt.
Speaker 2 (00:35):
Hallo. Bei der täglichen Skandalisierung des eigenen Bauchnabels zur Behauptung eines gut böse
Weltbildes durch die rechtsradikale AfD, aber auch durch nationalistisch fundamentalistische
Präsidenten wie Donald Trump und Recep Tayyip Erdogan verliert man leicht den Überblick.
Sicher, die eigene Klientel zu bedienen, auf Teufel komm raus täglich Furor zu produzieren,
(01:01):
ist strateg und mediale Kampftaktik gegen Andersdenkende.
Und dazu die zwar leicht zu durchschauende, aber schwer zu bekämpfende Strategie rechtsradikaler Parteien.
Und das Schnappatmung nach den ersten Nachrichten am Morgen, Aufregung am mittags und schimpft die Raden zur Tagesschau.
Es ist verwunderlich, wie resistent rechtsradikale Wähler innen gegenüber einem Herzinfarkt sind.
(01:26):
Abseits dieser komödialen Einlassung stellt sich jedoch ein reales Problem.
Denn wie kann man die für rationale Argumente kaum zugänglichen Wähler innen rechtsradikaler
Parteien dazu bringen, auf die politische Unterstützung zugunsten einer neuen Diktatur zu verzichten
und zumindest an der Wahlurne die liberal parlamentarische Demokratie verteidigen?
(01:49):
Es mag angesichts des manifesten Widerstandes dieser Klientel gegenüber intellektuellen Einlassungen
die Wähler innen leben in einer wissenschaftsfeindlichen Schwurbelblase etwas absurd klingen,
aber antirassistische und antinationalistische Bildungsarbeit sind nach wie vor die verbliebenen Schlüsse.
(02:11):
Ein differenzierter Blick in die ökonomischen Bedingungen, die nationalistische und rechtsradikale
Positionen wieder hoffähig gemacht haben, ist notwendig, so wie es unser Gesprächspartner Elmar
Altvater in diesem Gespräch schon 2004 machte.
Leicht verständlich erläutert der Politologe des berliner Otto Suhr in Instituts aufklärend
(02:33):
die Zusammenhänge von Wirtschaft und Gesellschaft kurz es hat Konsequenzen, wenn Arbeit gegenüber
Vermögen wie auch immer spekulativ und gaunerhaft erworben, entwertet ist, Arbeit aber für die
Mehrheit der Weltbevölkerung gesellschaftlich fundamental fürs Überleben ist.
Oder anders ausgedrückt, bietet die Gesellschaft dem Einzelnen an Stelle von Schutz und Perspektive,
(02:57):
Sanktionen und Strafe, macht sich Unsicherheit breit, die schnell zur Zukunftsangst wird.
Hier versprechen Populisten Halt und Perspektive, indem sie die parlamentarische Demokratie dafür verantwortlich machen.
Es mag also kaum verwundern, dass selbst Migrant innen, Frauen und Erstwähler innen rechtsradikale Parteien wählen.
(03:18):
Der jahrzehntelanger Sozialabbau, die Entwertung von Arbeit und die Prekarisierung des Einzelnen
im sozialen Umfeld von Wohnen und Leben sind für das Erstarken der AfD genauso verantwortlich
wie die Bildungsferne mancher Wähler innen, Elmar Altvater, verdeutlicht in diesem Gespräch
die von Profitgier getriebenen ökonomischen Veränderungen in der sich unaufhaltsam globalisierenden Welt.
Speaker 3 (03:42):
Noch in den er Jahren versprachen die Befürworter einer schrankenlosen Globalisierung eine Steigerung
von mehr als $250 Milliarden jährlich für das Welt Bruttosozialprodukt.
Keine Aussage allerdings wurde gemacht über die Taschen, in die dieses mehr an Wachstum fließen sollte.
Welches sind die ökonomischen Mechanismen, die zur Parallelität von schrankenlosem Freihandel
(04:07):
und Anwachsen krasser sozialer Ungleichheit führen?
Elmar Altvater (04:11):
Das kann man in der ganzen Geschichte feststellen.
Es gibt eine wunderbare Studie, die von der OECD in Auftrag gegeben worden ist, zum Millenniumswechsel,
also für das Jahr 2000, durchgeführt von einem Statistiker, Angus Madison, der herausgefunden
hat, dass seit Christi Geburt, seit dem Jahre null, das durchschnittliche Pro Kopf Einkommen
(04:34):
der Menschen etwa $400 liegt, und zwar weltweit, in Afrika genauso wie in Westeuropa.
Bis etwa zum Beginn der industriellen Revolution.
Dann steigt das pro Kopf Einkommen enorm an.
Das heißt, der Wohlstand der Nationen erhöht sich, wie vorausgesagt von der politischen Ökonomie durch freien Handel.
Und zugleich mit diesem Anstieg des Wohlstands der Nationen wächst auch die Ungleichheit, und
(04:57):
zwar extrem, wie wir wissen, nämlich in Europa, in den USA und einigen anderen Ländern extrem
schnell und auf ein bis dato noch nie dagewesenes Niveau, während Afrika, Lateinamerika, auch
viele Länder Asiens und viele Schichten auch in den reichen Ländern zurückbleiben. Die Ungleichheit nimmt zu.
(05:19):
Und das hat natürlich auch seinen Grund in den ökonomischen Mechanismen.
Denn die Beschleunigung, die der Welthandel ermöglicht, vollzieht sich natürlich in der Produktion.
Denn das, was da gehandelt wird, was ja der Materialeinhalt des Wohlstands ist, muss ja hergestellt werden.
In der Produktion herrscht Ungleichheit, weil die einen arbeiten und die anderen kriegen halt Gewinn.
(05:43):
Dadurch entsteht ein Gegensatz in der Gesellschaft, der sich auch als Einkommens und Vermögensgegensatz niederschlägt.
Und in der globalen Wirtschaft haben wir noch einen anderen Mechanismus, denn das Geld tritt dazwischen.
Und wo Geld ist, gibt es immer auf der einen Seite das Geldvermögen und auf der anderen Seite die Schuldverpflichtung.
Wenn es dann so ist wie seit 20 dreiig Jahren in der Welt, dass die einen Schuldner sind und
(06:07):
die anderen eben Gläubiger, und dass da kein Stellenwechsel stattfindet, dann fließt das Geld
von den Schuldnern zu den Gläubigern.
Und das führt zu einer Polarisierung.
Und genau diese Polarisierung können wir heute feststellen als ein ebenso großes und vielleicht
viel größeres Problem als den wachsenden Wohlstand.
Speaker 3 (06:27):
Jetzt gibt es aber immer wieder die Behauptung, dass dieser wachsende Wohlstand, der z.B. eliten
zugutekommt, zu diesem sogenannten Trickle down Effekt führen würde, dass also dieser Wohlstand
dazu führt, dass diese Eliten das Geld wieder investieren und damit der Wohlstand aller angehoben werden würde.
Warum ist dieser viel zitierte Trickle Down Effekt einfach nicht angekriegt, die in der globale.
Elmar Altvater (06:49):
Naja, das ist so die Pferdeäpfel these, wie sie von Galbraith, einem amerikanischen Ökonomen, bezeichnet worden ist.
Gibt den Pferden zu essen, zu futtern, dann haben auch die Spatzen etwas davon.
Das funktioniert natürlich nicht so.
Einmal durch die Mechanismen, die schon erwähnt worden sind, dass die einen Schuldner sind und die anderen Gläubiger.
(07:09):
Das Geld polarisiert, das wusste bereits Aristoteles, also 400 Jahre vor Christi Geburt, ist also gar nichts Neues.
Aber heute hat es eben globale Ausmaße und ein Ausmaß auch angenommen, das bis dato in der Geschichte nicht bekannt gewesen ist.
Dann wirken natürlich tausend andere Mechanismen gegen diesen sogenannten Trickle down Mechanismus.
(07:31):
Z.B. dass die Reichen gar nicht investieren, sondern eben konsumieren, oder aber ihr Geld als
Kapitalanlage in irgendwelchen Finanzmärkten anlegen und nicht in der realen Produktion, wo Leute beschäftigt werden könnten.
Also kommt keine Beschäftigung zustande auf diesem Wege.
(07:53):
Es kommt auch hinzu, dass viele Leute vielleicht, wenn sie viel Geld haben, auch keine Steuern bezahlen.
Also gibt es auch keine staatliche Umverteilung, weil keine Maße da ist.
Also es gibt sehr, sehr viele Mechanismen, die also auch gegen des trickle Down wirken.
Ist ein schönes versprechen, das aber leider nicht immer eingehalten wird.
Speaker 3 (08:12):
Welche Folgen hat denn diese extrem ungleiche Verteilung der Einkommen für die Weltwirtschaft selbst?
Elmar Altvater (08:18):
Die extrem ungleiche Verteilung, das wissen wir spätestens seit John Maynard Keynes, dem großen
britischen Ökonomen, der auch immer zitiert wird.
Diese große Ungleichheit führt dazu, dass die Konsumnachfrage geringer ist, als sie es bei mehr Gleichheit wäre.
Wenn die Armen ihr Geld ausgeben, tun sie es für Konsumgüter, aber es ist relativ wenig, das
(08:42):
sie dafür auf den Markt werfen können.
Die Reichen konsumieren nur einen sehr geringen Teil ihres Einkommens, weil sie irgendwann die Sättigungsgrenze erreichen.
Also ist die Konsumnachfrage geringer, als sie es bei einer ausgeglicheneren Einkommensverteilung wäre.
Mit diesem Hinweis von Keynes wird ja auch erklärt, warum Entwicklung in bestimmten Weltregionen
(09:05):
schwerer zustande gekommen ist in der Geschichte als in anderen.
Etwas in Lateinamerika, die Entwicklungstheorie Lateinamerikas von Lateinamerikanern, von Raúl
Prebisch, der auch der Chef der Unctat, der Welthandelskonferenz der UNO gewesen ist in den ER Jahren.
In Lateinamerika haben wir eine so extreme Ungleichheit der Einkommens und Vermögensverteilung,
(09:27):
dass dann auch die Nachfrage fehlt, die dazu führt, dass die Wirtschaft angekurbelt wird.
Das heißt, es ist nicht nur ungerecht im sozialen Sinne, sondern ineffizient im ökonomischen Sinne.
Und was für Lateinamerika von Raúl Prebisch gesagt worden ist, das gilt auch für die Industrieländer,
wenn auch nicht in solch einem extremen Ausmaß.
Speaker 3 (09:46):
Wenn auf diese Ungleichverteilung der Einkommen noch der freie Welthandel, also der Abbau sämtlicher
Handelsschranken und protektionistischer Maßnahmen der Staaten hinzukommt, die Deregulierung,
ist das dann das geeignete Mittel zur Steigerung des Weltsozialprodukts?
Elmar Altvater (10:03):
Erstens muss man dazu sagen, dass es den freien Handel immer nur für diejenigen gibt, die also davon profitieren.
Selbst die größten Freihändler werden zu Protektionisten, wenn es um ihre eingebunden Interessen geht.
Siehe die Stahlindustrie in den USA oder die Automobilindustrie und so weiter und so fort.
Das ist auch eine alte Geschichte.
Adam Smith, der Vater der Freihandelsidee, von dem immer das berühmte Wort von der unsichtbaren
(10:28):
Hand des Marktes und lasst den Markt nur machen, das wird das Beste für alle sein, war ein ausgemachter
Protektionist, wenn es um britische Interessen ging.
Er hat sich also für die britische Navigationsakte eingesetzt, das heißt für die Verhinderung
von Konkurrenten für die britische Seefahrt durch politischen Eingriff.
Da war er ein knallharter Interventionist.
(10:49):
Und so ist das auch heute, ist überhaupt nicht anders geworden.
Zum zweiten muss man aber sagen, dass natürlich der Abbau von Regularien, also der Abbau von
Standards im Handel weltweit dazu geführt hat, dass also etwa die Arbeitsbedingungen nach unten
konkurriert werden oder auch Umweltstandards nicht eingehalten werden.
(11:13):
Und das hat natürlich auch Konsequenzen für die Lebensbedingungen der Menschen, die da dadurch nicht unbedingt besser werden.
Man kann, glaube ich, generell Freihandel ist eine wunderbare Angelegenheit für Konsumenten,
sofern sie über Kaufkraft verfügen.
Dann ist man in der Lage, wie die reichen in den reichen Industrieländern, und noch nicht mal
die reichen allein, sondern auch andere.
(11:33):
Da hat auch so ein Trickle down Effekt stattgefunden.
Man kann sich heute Wein aus allen Weltregionen in jedem Supermarkt in Deutschland kaufen.
Das können natürlich nicht die armen Leute in Afrika, weil die gar nicht über die Kaufkraft verfügen.
Da wird auch nicht dieses Weinangebot hingebracht, ganz abgesehen davon, dass sie vielleicht
auch lieber was anderes trinken, aber das ist eine andere Frage.
Aber es ist schlecht, dieser freie Handel, für die Arbeiter, für die Produzenten.
(11:57):
Denn wenn der Wohlstand steigt, und wenn dahinter auch die Steigerung der Produktivität steckt,
dann heißt das auch, dass Arbeitskräfte freigesetzt werden.
Und das passiert in einem globalen Umfang, ist auch nichts Neues.
David Ricardo, der immer als einer der Begründer 1817 ist das schon geschrieben worden, der
Vorteile des Freihandels dient sozusagen der theoretisch ideologische Vater der Doktrin der Welthandelsorganisation.
(12:26):
Der hat von redundant Population, von Überflussbevölkerung gesprochen, die durch Freihandel hergestellt wird.
Also für die Produzenten ist das nicht unbedingt positiv.
Für die Konsumenten allerdings ist dieser Freihandel positiv, sofern sie über die Kaufkraft
verfügen und nicht alle Menschen in der Welt verfügen darüber.
Speaker 3 (12:44):
Nun lässt die Kaufkraft selbst oder ist die Kaufkraft selbst in Ländern, die traditionell nach
dem zweiten Weltkrieg diese Kaufkraft auf Massenbasis zur Verfügung stellen konnten, nämlich
im Westen, ist diese Kaufkraft nicht mehr in diesem Maße vorhanden. Wir haben Überproduktion weltweit.
Ist das eine Krise der Produktion?
(13:05):
Ist das eine Krise durch den Abbau von Handelsschranken, insbesondere in den Ländern des Südens?
Oder ist das eine Krise, die hervorgebracht wurde durch den Kapitalismus selbst, eben durch
die Verlagerung des Kapitals von der Produktion auf diese sogenannte ungebändigte Kapital, was in die Welt jagt?
Elmar Altvater (13:24):
In der New York Times konnte man vor einigen Wochen mal in einem Leitartikel die Krise besteht
genau darin, dass wir von allem zu viel haben.
Wir haben zu viel Kaschmir Pullover, wir haben zu viel Rolls Royce, wir haben zu viel Wein,
wir haben zu viel hähnchen, wir haben zu viel von allem. Das stimmt.
Aber diese Überproduktion ihrerseits ist natürlich Ausdruck von einer ganz spezifischen Tendenz
(13:47):
und die muss man tatsächlich als kapitalistische bezeichnen.
Erstens zwingt die Konkurrenz dazu, immer besser zu sein, immer mehr auf den Markt zu werfen,
als es die Konkurrenten, die anderen tun.
Und da alle so handeln, kommt am Schluss ein Resultat heraus, das eigentlich keiner wollte, nämlich diese Überproduktion.
Dann kommt aber was zweites.
(14:08):
Wenn überproduziert wird, dann lassen sich die Dinger nicht mehr mit Gewinn verkaufen.
Die Rabattschlachten, über die heute gerade alle klagen, die wir in den Kaufhäusern ja auch
richtig miterleben können, die Rabattschlachten auch bei den Automobilen, wo also alle möglichen
Extras jetzt nicht mehr berechnet werden, und im Telekommunikationssektor und dergleichen mehr.
(14:32):
Also alles dies führt zu Preisverfall und dieser Preisverfall auch zu einem Gewinnverfall.
Und wo der Gewinn dann nicht mehr da ist, hört irgendwann auch mal das Investieren auf.
Und wenn die Investitionen dann aufhören oder beschnitten werden, dann haben wir es mit Arbeitslosigkeit zu tun.
Infolgedessen ist das schon eine kapitalistische Tendenz, mit der wir hier zu operieren haben.
(14:54):
Und das macht ja auch eigentlich die Schwierigkeit, damit umzugehen, denn es reichen dann offensichtlich
nicht nur einzelne kosmetische Maßnahmen.
Speaker 3 (15:03):
Nun ist diese Tendenz, ich würde es gerne noch ein bisschen vertiefen, läuft ja so weiter, dass
also produzierende Unternehmen jetzt hingehen und versuchen, auf Kosten der Arbeiter an sich
wiederum Geld einzusparen, zu rationalisieren, indem sie z.B. sich verlagern, Produktionsstandorte
oder auch Verwaltungsstandorte verlagern in den Osten oder in den Süden. Welche Folgen hat das?
(15:26):
Nicht nur hier, da sind die Folgen glaube ich bekannt, sondern welche Folgen hat das für die
Länder, in denen diese produzierenden Unternehmen dann hingehen?
Elmar Altvater (15:36):
Man kann da wahrscheinlich nicht verallgemeinern, man muss da glaube ich schon fall und länderspezifisch vorgehen.
Wenn Unternehmen verlagern, wenn sie dies tun, weil die Löhne niedriger sind, weil die Arbeitsbedingungen
schlechter sind, weil die Umweltauflagen schlechter sind, dann gibt es zwar in den Ländern,
in denen die Unternehmen investieren, mehr Beschäftigung, aber zu eher prekären Bedingungen.
(15:59):
Ob dies auf die Dauer gut für diese Länder ist, kann man bezweifeln.
Audioarchiv Team (16:03):
Gleich geht es weiter mit dem Interview.
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Elmar Altvater (16:09):
Auf den ersten Blick ist es positiv, weil Beschäftigung erzeugt wird.
Wenn in diese Länder investiert wird und auf diese Weise also Arbeitsplätze entstehen, kann
dies Konsequenzen in der Richtung haben, dass auch so kulturelle Vereinheitlichung stattfindet
und traditionelle Kulturen auch überlagert werden.
(16:30):
Das kann auch posit positiv sein.
Es kann aber auch sehr negative Begleiteffekte haben, wenn also Callcenters nach Indien auslagern,
weil es dort billiger ist, aber die Inder dann Anrufe aus den USA oder aus England oder auch
aus Deutschland beantworten müssen, dann müssen die Englisch lernen, dann müssen sie sich einen
amerikanischen Akzent zulegen, dann müssen sie während es in Indien Nacht ist, möglicherweise
(16:56):
mit guten Morgen ihre Call Partner begrüßen.
Das heißt, sie müssen eine Anstrengung unternehmen, die für die kulturelle Entwicklung und manchmal
auch für die Psychologie sicherlich nicht nur positiv ist.
Also hier sind sehr widersprüchliche Tendenzen im Gange und man sollte nicht über diese Widersprüchlichkeit
hinweggehen, indem man das ist nur schlecht oder ist nur gut.
Speaker 3 (17:17):
Die Länder des Südens müssen oder sind dabei, ihre besten Produkte auf dem Weltmarkt zu verkaufen,
um auch Schulden, die sie gemacht haben, zu tilgen.
Das führt zu einer enormen Dynamik, Entwicklungsdynamik in diesen Ländern, aber nicht zu einem
Industrialisierungsprozess, wie er aus dem neunzehnte Jahrhundert Europas bekannt ist.
(17:38):
Was sind die Unterschiede zwischen der Entwicklung, die im neunzehnte Jahrhundert in Europa
als Industrialisierung bekannt ist, stattfand und was jetzt in vielen Ländern des Südens, Brasilien, Indien, China z.b. stattfindet?
Elmar Altvater (17:52):
Der europäische Industrialisierungsprozess, nehmen wir Deutschland, nehmen wir Frankreich, nehmen
wir England, fand hinter Schutzzollmauern statt.
Selbst Großbritannien das als Musterland des Freihandels gilt, konnte nur Freihändler sein,
weil es überlegen gewese ist.
Und dort, wo man überlegen ist, kann man bitte freier Handel, da hat man ja nichts zu verlieren.
(18:12):
Aber die anderen, die nicht überlegen waren, Deutschland beispielsweise, wo ja Friedrich Liszt
als Gegenpart sozusagen zu der klassischen politischen Ökonomie Großbritanniens genau eine Theorie
des Protektionismus aufgebaut hatte, Deutschland und Frankreich und andere waren hochprotektionistisch.
Sie haben die Heranbildung ihrer Industrien erstmal geschützt, um auf diese Weise die Basis
(18:35):
zu schaffen, auf der man dann auch vielleicht über Freihandel reden kann, über Freihandel und dergleichen.
Wir stecken ja auch nicht einen Schwergewichtsboxer und einen Leichtgewichtsboxer in den gleichen
Ring, da wird der Leichtgewichtler sehr schlecht aussehen, sondern wir regulieren das nicht.
Die Schwergewichtler unter sich und die Leichtgewichtler auch unter sich.
Und das ist gut so.
Und so müsste es natürlich auch in der Weltwirtschaft sein.
(18:56):
Sollen doch die Freihandel untereinander betreiben, die auf dem gleichen Level sich befinden.
Aber diejenigen, die auf einem unteren Level sich befinden, die müssen auch das Recht haben,
sich gegen die überlegene Konkurrenz zu schützen.
Und genau dies wird ihnen aber nach der Philosophie und auch nach dem Regelsystem der Welthandelsorganisation verwehrt.
(19:16):
Deswegen kommt keine Entwicklung zustande, deswegen kommt Verschuldung zustande.
Und diese Verschuldung entwickelt ihre eigene Dynamik, die dazu führt, dass genau diese Entwicklung eher behindert wird.
Denn um Schulden wiederum bedienen zu können, muss man exportieren. Man braucht ja Devisen. Was kann man exportieren?
Nur das, wo man konkurrenzfähig ist.
(19:38):
Konkurrenzfähig sind viele Länder des Südens mit Rohstoffen.
Also müssen müssen sie Rohstoffe exportieren, können keine Industriewaren exportieren, weil
sie da gar nicht konkurrenzfähig sind, müssen aber exportieren, weil sie Devisen benötigen.
Also müssen sie Industrialisierung hintanstellen und erstmal die Rohstoffausbeute weiter betreiben.
Das können sie in großem Stil häufig gar nicht selber machen.
(19:59):
Also müssen sie die großen transnationalen Konzerne ins Land holen und diese das machen lassen.
Dadurch kommt wieder eine eigenständige Dynamik zustande, die sowohl in Richtung politischem
Souveränitätsverlust als auch sozialer Polarisierung führt, sodass am Schluss etwas herauskommt,
was keiner eigentlich gewollt hat, jedenfalls explizit nicht gewollt hat, nämlich Entwicklung
(20:22):
der Unterentwicklung, um ein altes Schlagwort zu benutzen.
Jedenfalls nicht die Entwicklung auf den sich selbst tragenden Wachstumspfad, wie es von manchen Theoretikern versprochen worden ist.
Speaker 3 (20:36):
Was bedeutet dies in einem Zusammenhang für den Begriff des Faktors Arbeit?
Haben wir da dann eine globale Entwertung dieses Faktors Arbeit? Zu beobachten.
Elmar Altvater (20:47):
Wir haben keine Entwertung der Arbeit zu beobachten, sondern wir haben eine sehr starke strukturelle
Veränderung der Arbeiten zu beobachten.
Wir haben auf der einen Seite, bedingt durch das technologische Paradigma, einen wachsenden
Sektor von hochqualifizierten Leuten, im übrigen auch in Ländern der sogenannten dritten Welt.
(21:09):
Die Techniker und Programmierer von Bangalore in Indien sind bekannt, aber wir haben auch diesen
Sektor in China und in vielen anderen Ländern.
Auf der anderen Seite haben wir sehr viel prekäre Arbeit, auch diese ist wachsend.
Und der Sektor der sogenannten informellen Arbeit, also derjenigen, die keine richtigen Arbeitsverträge
(21:30):
haben, wo die Gewerkschaften nicht da sind, wo sozialstaatlicher Schutz fehlt, wo kein Kündigungsschutz
gegeben ist, dieser Sektor nimmt in allen Weltregionen extre zum Teil extrem, auch in den Industrieländern
ist er angestiegen in den vergangenen Jahren.
Das sind die Tendenzen, die wir zu beobachten haben.
Auf der einen Seite eine sehr starke Qualifizierung von Arbeit und eine Professionalisierung von Arbeit.
(21:55):
Auf der anderen Seite eine Prekarisierung von Arbeit oder Informalisierung von Arbeit und natürlich
die Zunahme der Arbeitslosigkeit, Nichtarbeit, der unfreiwilligen Nichtarbeit.
Denn ILO sagt, dass die internationale Arbeitsorganisation, dass wir in der Welt 750 Millionen
(22:18):
Arbeitslose und prekär Beschäftigte haben, und arbeitslos sind wahrscheinlich an die 200 Millionen.
Dann bedeutet das, dass also so an die 1 Milliarde Menschen, denn die Arbeitslosen leben in
Familienzusammenhängen zumeist so 1 Milliarde Menschen, 1/6 der Menschheit durch Nichtarbeit
geprägt ist, und das heißt in einer kapitalistischen Geldwirtschaft auch durch nicht Geld haben
(22:43):
geprägt sind, oder durch prekäre Zuschüsse.
Angesichts der Krise der Sozialstaaten, selbst in den reichen Ländern, wie soll es anders sein
in den ärmeren Ländern, welche Auswirkungen.
Speaker 3 (22:54):
Hat dies auf gesellschaftliche Zusammenhänge, auf politische, soziale Bedingungen, in denen Menschen leben?
Und letztlich damit auch wieder rückwirkend, welche Rückwirkungen hat das auf ein globales Wirtschaftssystem?
Elmar Altvater (23:08):
Das kann man auch nicht so generell beantworten, weil man da auch länderspezifisch hinschauen müsste.
Man kann nur sehr allgemein einige Tendenzen festhalten.
Die Spaltung, die sich daraus ergibt, dass die einen hochprofessionell und hochqualifiziert
sind, die anderen prekär beschäftigt sind, die dritten arbeitslos sind, diese Spaltung löst
(23:32):
natürlich so etwas wie die Einheitlichkeit der Arbeiterklasse, in Anführungszeichen gesprochen,
mehr und mehr auf, sodass hier auch keine organisierte Widerstandsform zu erwarten ist.
Die Gewerkschaften haben es bis heute nicht geschafft, nirgendwo, in keinem Land, die Arbeitslosen
etwa wirklich zu organisieren oder antworten auf die Prekarisierung und die Informalisierung von Arbeit zu finden.
(23:58):
Das heißt, es schwächt auch die politische Ausdrucksform der Arbeit innerhalb der Gesellschaften,
was natürlich so diesem neoliberalen Zeitgeist zugutekommt, denn Arbeit ist sowieso gegenüber dem Vermögen nichts. Das ist eine Tendenz.
Die zweite Tendenz wenn es denn so ist, dass viele der Elemente des individuellen wie auch des
(24:23):
gesellschaftlichen Selbstbewusstseins auf Arbeit basieren.
Arbeit, nützliche Tätigkeit, vernünftige Produkte, mit denen man sich identifizieren kann, die
als Ergebnis von Arbeit sind.
Und wenn diese Arbeit dann fehlt, oder wenn sie prekär wird, dann wird auch dieses Selbstbewusstsein prekär.
Das ist natürlich eine ziemlich große Gefährdung, auch im psychologisch kulturellen Sinne für
(24:46):
Gesellschaften, weil dann also auch die Suche nach irgendwelchen Ersatzidentitäten eintritt,
die anfangen kann, und das ist noch harmlos bei irgendwelchen Spielsalons oder im Internet oder
was auch immer, aber auch dann dahin gehen kann, dass irgendwelche Autoritäten dann etwas versprechen,
was dann also als eine Lösung der Probleme akzeptiert wird.
Speaker 3 (25:09):
Erleben wir sozusagen die Geburtsstunde einer Weltgesellschaft auf niedrigstem Niveau?
Elmar Altvater (25:14):
Nein, ich glaube nicht, dass man von einer Weltgesellschaft sprechen kann, auch wenn dieser
Begriff sehr häufig inzwischen benutzt wird.
Die Unterschiede sind einfach zu groß und die Gegensätze, die gerade durch die Globalisierung
entstehen und sogar verschärft werden zwischen arm und reich.
Die Armut steigt in der Welt, obwohl die Weltbank und alle versuchen, auch die Industrieländer
(25:37):
haben sich auf ihrem Gipfel in Okinawa 2000 dazu verständigt.
Wir wollen die Armut halbieren bis zum Jahre 2010.
Alles das findet ja nicht statt.
Im Gegenteil, die Weltbank zeigt, dass die Armut zunimmt und mit der Armut auf der anderen Seite auch dann der Reichtum.
Das heißt, die Polarisierung ist so groß, dass man sehr große Schwierigkeiten hat, von einer Gesellschaft zu sprechen.
(26:00):
Von Gesellschaft können wir nur sprechen, nicht wenn totale Gleichheit herrscht.
Das gibt es in keiner Gesellschaft, hat es nie gegeben.
Aber doch ein gewisses Niveau da ist und vor allen Dingen innerhalb dieser Gesellschaft auch
Mechanismen bestehen, durch die die einen, die unten sind, nach oben kommen, und auch vielleicht
die, die oben sind, nach unten kommen können.
Und das ist genau in der sogenannten Weltgesellschaft nicht der Fall.
(26:24):
Die, die unten sind, bleiben es auch.
Speaker 3 (26:26):
Also haben wir eine Neuauflage eines neokolonialen Weltsystem?
Elmar Altvater (26:32):
Ich würde es nicht neokolonial nennen.
Das koloniale Weltsystem war ja dadurch gekennzeichnet, dass eben die Metropolen, vor allen
Dingen in Europa, die Territorien und die Menschen, die dort lebten, in anderen Weltregionen
beherrschten, ökonomisch, aber auch politisch.
Neokolonialismus, davon spricht man schon seit Jahrzehnten.
(26:53):
Eigentlich schließt ja genau das nicht ein, dass auch unbedingt da die politische Herrschaft mit verbunden sein muss.
Man kann ja die Souveränität belassen, wenn die ökonomischen Abhängigkeiten trotzdem gewährleistet sind.
Und das ist ja heute durchaus der Fall.
Audioarchiv Team (27:08):
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Elmar Altvater (27:13):
Wovon man heute wieder mehr sprechen muss, nach der Euphorie nach dem Jahre 1989, dass jetzt
die Welt friedlich wird und zu einem gewissen Ausgleich kommen könnte, wovon man heute wieder
sprechen muss, ist, dass sich einige in der Welt so die Ressourcen aneignen und andere sehr
(27:35):
schlecht im Regen stehen lassen.
Der Kampf ums Öl spielt inzwischen tatsächlich eine Rolle, auch wenn man vielleicht nicht sagen
kann, dass der Irakkrieg nur wegen des Öls geführt worden ist.
Aber es hat eine Rolle gespielt, ganz zweifellos, denn Die Reserven gehen zur Neige.
Nicht der Höhepunkt ist in den er Jahren erreicht worden, sagen alle Geologen.
(27:55):
Die Zunahme der Ölbestände, indem man neue Lagerstätten gefunden hat, ist geringer als die Entnahme,
sodass also unweigerlich die Reserven zurückgehen.
Und dann fängt das Hauen und Stechen darum an, wenn Indien und China sich so industrialisieren
werden, wie sie das gegenwärtig planen und wie es ihnen ja auch von der Welthandelsorganisation
(28:16):
empfohlen wird und wie wir alle in Europa, in den USA, natürlich müssen die das machen die das gleiche Recht wie wir?
Da muss man sich überlegen, geht das denn überhaupt auf der fossilen Basis ohne heftigste Konflikte?
Also hier kommt etwas neokoloniales insofern herein, als eine Ausbeutung wieder Platz greift,
(28:38):
wie sie in den frühkapitalistischen oder gar vorkapitalistischen Zeiten stattgefunden hat.
Das ist eine sehr gefährliche Situation, die sehr konfliktreich ist und die vor allen Dingen
eben auch für den Weltfrieden gefährlich wird.
Speaker 3 (28:56):
Führt dies unter Umständen zu ähnlichen politischen Frontstellungen und Konstellationen, wie
sie aus dem neunzehnte Jahrhundert in Europa bekannt sind?
Also sozusagen ein Klassenkampf auf globalem Niveau, aber der sich hauptsächlich in den Ländern
des Südens als Bühne abspielt?
Elmar Altvater (29:17):
Also als Klassenkampf wohl kaum, denn es gibt zwar Klassen, aber die die Identitäten, über die
wir vorhin gesprochen haben, sind so unterschiedlich und sie sind nicht mehr unbedingt um die
Arbeit zentriert und auf der Arbeit basierend, sodass also viele andere Konfliktlinien hineinspielen, von ethnischen Konfliktlinien angefangen.
(29:42):
Und wir wissen von den ethnischen Konflikten in vielen Weltregionen.
Selbst in Europa waren wir Zeugen von ethnischen Kriegen auf dem Balkan oder im Kaukasusgebiet.
Wir haben auch Auseinandersetzungen zwischen den Religionen, die zum Teil hochgeredet werden.
Aber Huntington mit seinem clash of Civilizations hat in einem Punkt natürlich recht, dass wenn
(30:06):
es keine anderen Feindbilder gibt, auch diese Religionen zu Feindbildern werden.
Können und unser Feindbild ist inzwischen der Islam geworden, aus welchen Gründen auch immer.
Das sind die Konfliktlinien, um die es sich dreht und dann natürlich jetzt auf der Basis all
dieser Tendenzen der Kampf gegen den Terrorismus und die dieser ist nicht der Klassenkampf von
(30:28):
oben wie im neunzehnte Jahrhundert und die Terroristen sind auch nicht die Arbeiterklasse von
unten wie im neunzehnte Jahrhundert, sondern das ist eine ganz neue, vielleicht postmoderne,
um diesen Begriff zu benutzen, Konstellation, die aber keineswegs weniger gefährlich und weniger
militant ist als der Klassenkampf des neunzehnte Jahrhunderts.
Im Gegenteil, es ist wirklich eine globale Auseinandersetzung, die im übrigen auch noch einmal
(30:52):
zeigt, dass wir es nicht mit einer Weltgesellschaft zu tun haben.
Denn wenn sie also Teile der Welt in dieser Weise, wie das gegenwärtig im Krieg gegen den Terrorismus
ausdrückt, bekämpfen, kriegerisch bekämpfen, dann kann man nicht von einer gemeinsamen Gesellschaft reden.
Speaker 3 (31:07):
Könnte man aus dieser Perspektive den Krieg in Jugoslawien als Reaktion auf diese Globalisierungstendenzen auch interpretieren?
Elmar Altvater (31:14):
Kann man unbedingt. Der Krieg in Jugoslawien hatte damit zu tun, also erstens ist er mit ausgelöst
worden durch die Versuche Sloweniens aus dem jugoslawischen Staatsverband rauszukommen, um sich sozusagen europafeind zu machen.
Die sind in die europäische Union gestrebt und inzwischen, wie man weiß, erfolgreich, denn seit 1.
Mai. 2004 sind sie dabei.
(31:37):
Sie konnten das niemals mit den Albanern, mit dem Kosovo, die weit hinten Herr rücken.
Insofern war die Spaltung da angelegt.
Das zweite war, Jugoslawien war hoch verschuldet und um die Schuldenlast ist zwischen den Republiken
innerhalb Jugoslawiens heftigst gekämpft worden und die Gläubigen, die Europäer oder der internationale
(31:58):
Währungsfonds haben da keine Erleichterung geschaffen, die es vielleicht ermöglicht hätte, dass
auch dieser Konflikt nicht ausgebrochen wäre.
Und das dritte, und das ist wahrscheinlich entscheidend, diese ethnischen Auseinandersetzungen,
die natürlich auch durch die Globalisierung erstmal zu diesen Auseinandersetzungen geworden sind.
Globalisierung ist ja so eine seltsame Geschichte, die auf der einen Seite so und das ist das
(32:22):
Gute ja auch daran, den Geist öffnet und die den Austausch der Kulturen ermöglicht, die Kommunikation
verbessert und erleichtert, auf der anderen Seite dann aber auch neuen Identitäten Platz gibt,
die sich dann entwickeln und zwar immer in Abgrenzung gegen andere.
Und genau das ist in Jugoslawien geschehen.
(32:42):
Wobei ich jetzt überhaupt nicht über die Schuldfrage reden will, wer damit begonnen hat.
Speaker 3 (32:46):
Ist eine Rückkehr zu einem qualitativ definierten Protektionismus z.B. unter Berufung auf bestimmte
Sozialstandards oder ökologische Standards möglich?
Würde damit oder könnte man damit eine andere Weltwirtschaft als Motor sozusagen etablieren, einer.
Elmar Altvater (33:05):
Anderen Globalisierung auch das Handelssystem, auch das globale Handelssystem bedürfen der Regulierung.
Es gibt eigentlich kein Handelssystem, das nicht reguliert worden ist.
Wenn sie in alte Ruinen hineingehen, etwa auf die athenische Agora oder in Pompeji oder sonst
wo, sie haben immer den Marktplatz und sie haben auf diesem Marktplatz immer auch noch die Überreste
(33:27):
heute des Hauses, des Marktaufseers.
Das heißt, der Markt ist immer beobachtet und reguliert worden.
Es gibt keinen funktionierenden Markt, der unreguliert gewesen wäre. Gibt es absolut nicht.
In Beleng, dieser Mündungsstadt des Amazonas im Norden Brasiliens, heißt der Großmarkt Veropeso. Betrachte das Gewicht.
(33:48):
Da war jemand, der hat das Gewicht geprüft.
Der hat geprüft, dass sie sich nicht wechselseitig übers Ohr hauen, wenn sie also ihre Waren abwägen, wenn sie tauschen. Also Aufsicht ist notwendig.
Und das braucht man erst recht auf globaler Ebene, ohne Regulierung, die einschliess, unter
welchen Bedingungen sind diese Dinger, die da gehandelt werden, eigentlich produziert worden. Ist das überhaupt vergleichbar?
(34:10):
Bin ich konkurrenzfähig dadurch, dass ich Leute, die als Sklaven gehalten werden, zur Produktion gezwungen werden?
Oder sind das also Leute, die sich gewerkschaftlich organisieren können?
Das muss doch in einem solchen Handelssystem reguliert werden können.
Im übrigen hat selbst das GATT, das allgemeine Zoll und Handelsabkommen von 1947, solche Artikel
(34:33):
drin, dass also z.B. kriegsgefangenenarbeit nicht.
Dass Produkte, die mit Kriegsgefangenenarbeit hergestellt worden sind, können also vom Markt ferngehalten werden.
Dagegen kann man sich schützen.
Also Schutzmechanismen sind eine Notwendigkeit, sowohl was die Sozialstandards als auch die Umweltstandards anbelangt.
Wenn wir das nicht tun, machen wir die Gesellschaft und machen wir die Natur kaputt.
(34:55):
Das will ja hoffentlich niemand.
Selbst die härtesten Freihandelsvertreter können das nicht wollen.
Sie haben nur die Vorstellung, manchmal ist es reine Ideologie, dass durch Handel genau die
sozialen Standards und die Umweltstandards angehoben werden.
Aber das ist nicht der Fall.
Eher das Gegenteil ist der Fall.
Also Regulation brauchen wir und diese heißt immer auch Schutz gegen Maßnahmen, die also bestimmte Standards unterlaufen. Schutz ist eine Notwendigkeit.
(35:26):
Wo kein Schutz ist, herrscht nur noch Unsicherheit.
Und wo Unsicherheit herrscht, kommt keine Zukunftsplanung zustande.
Und wo die Menschen Zukunftsangst haben, sind sie für Autorität, autoritäre Lösungen dann offen.
Und die autoritären Lösungen machen mit Sicherheit dem freien Handel ein Ende.
Audioarchiv Team (35:43):
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Bis nächste Woche, euer Audioarchiv Team.